Beiden kriegerischen Kelten dienten Körperbemalungen einst dazu,dem Gegner in der Schlacht das Fürchten zu lehren - alsdekorative Körperkunst haben sie bis heute überdauert. Einmalmehr in Erinnerung gerufen wurden sie durch den Film Braveheart,in dem Mel Gibson als schottischer Freiheitsheld William Wallace,geschmückt mit den traditionellen blauen Celtic - Tattoos derKrieger, in die Schlacht zog. Doch Celtic Tattoos beinhalten nochviel mehr: jedes hat seine eigene besondere Bedeutung.


Stelledir vor, du wärst ein römischer Soldat, höchst diszipliniert,in voller Kampfausrüstung, und würdest Tausende von Meilen fernder Heimat in strenger Reihe durch ein kaltes, nasses Landmarschieren. Plötzlich stürmt von den Hügeln eine Horde "Wilder"auf sie zu, auf Streitwagen, hoch zu Ross, die meisten zu Fuß,mit Schwertern und Schilden bewaffnet - sonst aber nackt undmitbeunruhigenden blauen Bildern von wilden Tieren undverwirrenden Spiralmustern bemalt. Die Haare, mit Kalk gebleichtund verschmiert, klebten eng am Kopf oder stehen ab. Diefurchterregende Szenerie ist eingehüllt in markerschütterndesGeschrei aus jeder einzelnen Kehle - der ohrenbetäubende Lärmerfüllt das ganze Tal, während sich die Barbaren schnell nähern.Für die Kelten sollte dies einer ihrer besten Tage werden, fürdie römischen Fußsoldaten einer ihrer schlimmsten.

Soweitein heute typisches Bild der Kelten. Weitere Vorstellungenbasieren vor allem auf ihren großartigen Kunstwerken aus derZeit nach der Christianisierung. Kriegerische wie künstlerischeEindrücke vereinen sich in den keltischen Körperbemalungen. Überlieferungender entsetzten Römer besagen, dass einige keltische Stämme (z.B.die Briganten und die Pikten aus Nordengland und Schottland) ihreKörper mit blauen Mustern schmückten, bevor sie in die Schlachtzogen.. Von den Kelten selber gibt es nur mündliche Überlieferungen(einzige schriftliche Zeugnisse sind Grabinschriften), die aberkeinen Hinweis auf die Körperkunst geben - ihre Kultur schwandmit ihnen.

Zwargibt es einige Bücher, die von alten keltischen Mythen erzählen,aber da das älteste von ihnen erst im 9. Jahrhundert n. Ch.geschrieben wurde, geben sie keine verlässliche Auskunft. Diealten Mythen, hauptsächlich Heldensagen, berichten wenig überdas alltägliche Leben der Kelten. Da außerdem keinemumifizierten Körper gefunden wurden, wissen wir heute kaum etwasüber ihre Körperbemalung. Allerdings kann man einige Rückschlüsseziehen.

HistorischeQuellen über keltische Körperkunst reichen zurück bis zur Zeitdes 1. Jahrhunderts v. Ch., als Cäsar in seinem gallischen Kriegschrieb: "Alle Briten, ohne Ausnahme, bemalen sich mit Waid,einem blauen Farbstoff." Spätere Hinweise über dieseGewohnheit der Briten finden wir in den Schriften von Plinius,Martial und Herodian aus dem 3. Jahrhundert n. Ch.

Dererste Nachweis über die Körperkunst der Pikten (von Isidor vonSevilla) stammt allerdings erst aus dem 7. Jahrhundert n. Ch. Esgibt mehrere denkbare Gründe für die lückenhafte Überlieferung:Möglicherweise bemalten sich ursprünglich ALLE Briten, gabendies aber mit zunehmender Romanisierung auf, so dass nur noch dieunbesiegten Pikten in den nördlichen Randgebieten des römischenReiches diese Kunst pflegten. Die Schotten, die ursprünglich ausIrland kamen, kannten diese Tradition wahrscheinlich nicht.Denkbar wäre allerdings auch, dass sich ohnehin nur die Piktenbemalten, Cäsar aber ihre Kultur als in ganz Britannienverbreitet beschrieb.

Überdie Art der Bemalung berichtete Herodian dass die KeltenNordbritanniens "ihre Körper mit verschiedenen Tiermotivenbemalten und keine Kleidung trugen, wahrscheinlich aus Angst,diese Figuren (und ihre Wirkung) zu verbergen". ArchäologischeFunde weisen vielfach darauf hin, dass die Kelten in denJahrhunderten vor Ch. ein erstaunlich breites Spektrum vonOrnamenten, Spiral- und Treppenmuster sowie Darstellungen vonTieren und Menschen, benutzten. Die Spiral- und Treppenornamentikder frühen Kelten ist hinreichend belegt. Allerdings gibt eskeine Beweise für die landläufige Annahme, dass die Kelten -wie zahlreiche andere "primitiven" Kulturen - Bilderaus der belebten Natur auch zu spirituellen Zwecken anfertigten.

Beispielekeltischer Tierzeichnungen überdauerten z.B. in Form desBurghead Bull, einem stilisierten Stier, eingemeißelt in einenFelsen in Burghead/Inverness. Seine rankenartigen Musterwiederholen sich in den meisten heiligen SchriftenNordbritanniens und Irlands. Da sie in relativ unveränderterForm über so lange Zeit und weite räumliche Entfernung hinwegimmer wieder auftauchten, hatten sie offenbar eine großeBedeutung und eine lange Geschichte bei den Kelten.

DerVogel und in etwas geringerem Masse auch der Hund erscheinen inihrer Darstellung in verschiedenen Schriften sehr ähnlich undgleichförmig. Auch wenn man Ähnlichkeiten zur germanischenKunst der selben Zeit feststellen kann, deutet ihre Beliebtheitin Britannien auf eine lokale Tradition hin, die weit bis in dieZeit vor Christus zurück reicht. Obwohl hinlänglich Beweise dafürfehlen (da sogar die in Stein gemeißelten Bilder der Pikten erstnach der Christianisierung entstanden), weisen die immerwiederkehrenden Illustrationen noch in Schriften des 6. bis 10.Jahrhunderts n. Ch. auf einen langen Zeitraum derWeiterentwicklung hin. das fehlen archäologischer Beweise lässtauf die Vergänglichkeit der Materialien schließen, die dieMotive zierten. Die Muster könnten in Holz eingeritzt wordensein, wurden aber wahrscheinlich auf Holz, Stein und menschlicheKörper aufgemalt, wie Cäsar und andere es beschrieben.

Leiderwissen wir nicht, wer diese Muster erfand und zu welchem Zweck.Die Kelten beschäftigen immer aes dana,Auftragskünstler, aber die Aufträge wurden nur mündlicherteilt, und die Kunstschmiede, die die reich verzierten Schilde,Schwerter, Broschen und Handspiegel herstellten, wurdenvermutlich dazu angehalten, möglichste variationsreich zuarbeiten. Wie auch immer: Die Ankunft der ersten christlichen Möncheum 400 n. Ch. änderte alles. Es entwickelte sich erstmals einekulturelle Struktur mit soviel Reichtum und Macht, dass man essich leisten konnte, eine Gruppe von Leuten einzig mit deKopieren und Illustrieren von Büchern zu beschäftigen. Nunkonnten sich die Künstler ganz ihrer Arbeit widmen - der erstenund einzigen britischen Kunstform, die lange Zeit später dieeuropäische Kunst stark beeinflussen sollte.

Vorallem bei Randverzierungen und Dekorationen konnten diekeltischen Künstler ihr ganzes Können zeigen. Schreiber schmücktenihre Schriften gerne üppig, so dass die Verzierungen bald zumMittelpunkt ihrer Kunst wurden. Eo entstanden auch diesogenannten "Teppichseiten", Buchseiten, die bis zumRand mit Flechtwerk und Treppenmustern mit eingeflochtenenTiermotiven und anderen traditionell keltischen Ornamenten ausgefülltwaren. Sie dienten den keltischen Columbaner - Mönchen zurMeditation.

Jahrhundertezuvor hatten die Kelten Schlingen- und Treppenmuster ausunbekanntem Grund insofern verändert, als dass sie dasgrundlegende Raster quasi drehten: Statt der herkömmlichensenkrechten und waagrechten Konturlinien ließen sie dies nundiagonal verlaufen. Damit vervielfältigten sie die Variationsmöglichkeitenenorm, allerdings mussten nun die Ecken der Buchseiten neuausgestaltet werden. So entstand die charakteristische Schlüsselbartornamentikder Kelten.

KeltischeSchreiber scheinen römische und byzantinische Muster in ihreOrnamente übernommen zu haben. Ob das bewusst geschah odereinfach, weil sie die Darstellungsmethoden für die fremdenMuster nicht verstanden, spielt keine Rolle. Die Veränderung wardramatisch: Eine Handvoll Ursprünglicher Möglichkeitenexplodierte zu einer unbegrenzten Variationsbreiteunterschiedlicher Flechtwerke. Trotz der starren Geometrie, dieihnen zugrunde lag, gab diese Technik den Zeichnern die Möglichkeit,ihre ganze Kunst zu entfalten. Die von ihnen geschaffenen Bücherverbreiteten sich über ganz Europa und inspirieren uns nochheute, mehr als ein Jahrtausend später.

DieArbeit der Illustratoren beeinflusste Schmuckmacher, Schmiede undSteinmetze und führte zu einer wahren Explosion von Kreativitätmit der Entwicklung zahlreicher Stilrichtungen und handwerklicher Fähigkeiten- alles finanziert durch die Kirche, die danach die Unterstützungder keltischen Kunst stark einschränkte.

Dasdefinitive Ende ließ noch auf sich warten. Widerstandnester (z.B.in den Culdees, in den entlegenen Gebieten Nordbritanniens)bestanden weitere 1000 Jahre. Die finanziellen Möglichkeiten derkeltischen Klöster aber schrumpfte, und damit schwand auch dieQualität der Kunst rapide. Trotz der Zerstreuung der Columbaner- Mönche über ganz Europa während der folgenden 1000 Jahre undder Errichtung neuer Klöster und Bibliotheken, war das goldeneZeitalter keltischer Kunst vorüber.

Innerhalbvon 1000 Jahren verschwand die keltische Kunst gänzlich, sogaraußerhalb des christlichen Reiches. Die Wikinger hatten aus denselben Wurzeln wie die Kelten einen ähnlichen Stil entwickeltund bedienten sich ebenfalls der Flechtwerktechnik, verschlungeneVogel- und Schlangenmotive. Dieser sogenannte Urnes - Stil (nachder Stabkirche von Urnes/Norwegen) zeigte sich in wesentlichfeineren Linien als die keltische Kunst, von derenAusgeglichenheit, Symmetrie und Formschönheit allerdings einigesverloren ging.

Währenddes 19. Jahrhunderts führten das Interesse für Archäologie undGeschichte und die viktorianische Vorliebe für Verziehrungen zurWiederentdeckung der keltischen Kunst. Auf Grundlage derForschungsarbeiten von J. Romilly Allen und George Bain erschien1951 Bains Buch Celtic Art - Methods of Construction.Dies war der Starschuss für das moderne Interesse an keltischenKunstwerken.

Inden 70er Jahren kamen, ausgehend von Großbritannien, auchhierzulande keltische Tätowierungen in Mode. Zunächst wurdendie Muster aus dem Buch von George Bain übernommen, späterbegannen die Tätowierer auch eigene, immer komplexere Muster zuentwerfen. Heute kann man sich auf der ganzen Welt einzigartigeund faszinierende Ornamente auf die Haut tätowieren lassen - esist nur die Frage der Geduld und des Geldes. SteigenderBeliebtheit erfreuen sich dabei keltische Muster auf derGrundlage von gezackten Linien und Blitzen, beeinflusst vonvielen verschiedenen Stilrichtungen - von der Körperkunst derMaori bis zu den Arbeiten moderner Künstler. So wird also ingewissem Sinne die Tradition der Kelten, Muster anderer Kulturenzu übernehmen und zu überarbeiten, weitergeführt.

Beispiel einer Kampfbemalung

Quelle: Celtic Tattoos - Andy Sloss - VGS Verlagsgesellschaft - 1998


Update: 27. März 2010